Tahar Ben Jelloun: Arabischer Frühling

Der Autor, Schriftsteller und Philosoph Tahar Ben Jelloun, wurde 1944 in Fès, Marokko, geboren und lebt heute in Paris und Tanger. Er ist Verfasser zahlreicher Romane, so «Die Nacht der Unschuld» und «Das Schweigen des Lichts», Essays und Kinderbücher und gilt als bedeutendster Vertreter der französischsprachigen Literatur des Maghreb. Beschrieben und reflektiert wird im brandaktuellen Bändchen der Frühling 2011, der Ägypten, Tunesien, Libyen, Jemen, Syrien – und demnächst vielleicht auch Palästina – ins Zentrum des Weltgeschehens gerückt hat. Denn in diesen Ländern geht das Volk erstmals in Massen auf die Strasse und besetzt die Plätze. «Kifaya!» «Es reicht!» wird skandiert, und manchmal solidarisieren sich Polizei und Militär mit der Facebook-Generation und alles kommt schnell auf einen guten Weg, manchmal dauert die Revolte länger und wird blutig zurückgeschlagen und aufgeschoben. Die arabischen Länder seien daran, den Wert der bürgerlichen Freiheiten und die Autonomie des Individuums zu entdecken, und in erster Linie bedeute die Bewegung eine Niederlage des Islamismus, dies zwei Aussagen des Autors.

Der essayistische Teil des Bändchens liefert Psychogramme der Herrscher und «Erklärungsversuch» zu den Ereignissen in den arabischen Gesellschaften, der literarische Teil mit der Novelle «Der Funke» erzählt, wie Mohamed Bouazizi zur Selbstverbrennung getrieben wurde, jener tunesische Gemüsehändler, dessen Freitod Auslöser der ersten Volksaufstände war. Der Dichter schlüpft dabei in die Haut eines Opfers und eignet sich fremde Stigmata an.
Täglich verbreiteten die Medien in den letzten Wochen und Monaten Meldungen und Analysen über das, was in Nordafrika geschieht, oft punktuelle und kurzfristige, oberflächliche und vorläufige. Den vorliegenden Band zeichnet im Gegensatz dazu aus, dass er unaufgeregt, mit intellektueller Distanz und emotionaler Nähe ein Gesamtbild entwirft, das Übersicht und Einsicht vermittelt. Neben den Tatsachen, die auch er referiert, schält er das Wesen der Ereignisse heraus, sucht nach Sinn und Bedeutung: letztlich das Wiedererlangen der arabischen Würde. «Die Aufstände lehren uns etwas Einfaches, das die Dichter schon so oft besungen haben: Wer erniedrigt wird, weigert sich früher oder später, auf Knien zu rutschen, und setzt sich unter Lebensgefahr für Freiheit und Würde ein. Diese Wahrheit ist allgemeingültig. Es ist eine grosse Freude, dass nun gerade die arabischen Völker die Welt daran erinnern.»

Hanspeter Stalder

Tahar Ben Jelloun: Arabischer Frühling. Vom Wiedererlangen der arabischen Würde. Berlin Verlag, Berlin 2011, 127 Seiten