Reichtum ohne Gier

Das neue Buch «Reichtum ohne Gier. Wie wir uns vor dem Kapitalismus retten» von Sahra Wagenknecht liefert durchdachte Ideen für eine Marktwirtschaft ohne Kapitalismus.

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Sahra Wagenknecht, promovierte Volkswirtin, Publizistin und Politikerin, ist seit Oktober 2015 Vorsitzende der Linksfraktion im Deutschen Bundestag, war von 2004 bis 2009 Abgeordnete im Europäischen Parlament und von 2010 bis 2014 Stellvertretende Parteivorsitzende. Nach der Lektüre ihres neuen, höchst informativen und brillant geschriebenen Buches «Reichtum ohne Gier. Wie wir uns vor dem Kapitalismus retten» darf ergänzt werden, dass es sich bei der Autorin wohl um eine der wenigen kompetenten Wirtschaftswissenschaftler/-innen unter den Politiker/-innen handelt. In ihrem dualen Ansatz und ihrer humanistischen Bildung stösst sie mit glasklaren Analysen und konkreten Vorschlägen immer wieder zum Menschlichen und zum Gesamtgesellschaftlichen vor.

«Es ist Zeit, sich vom Kapitalismus abzuwenden. Wir leben in einem Wirtschaftsfeudalismus, der mit freier und sozialer Marktwirtschaft nichts zu tun hat. Die Innovationen, die uns bei der Lösung wirklich wichtiger Probleme weiterbringen, bleiben aus. Der Kapitalismus ist längst nicht mehr so innovativ, wie er sich gibt.» Bei der Lösung der grossen Zukunftsfragen, von der klimaverträglichen Energiewende bis zur nachhaltigen Kreislaufproduktion, kommen wir seit Jahrzehnten kaum voran. Für die Mehrheit wird das Leben nicht besser, sondern härter. Es ist Zeit für eine kreative, innovative Wirtschaft mit kleinteiligen Strukturen, mehr Wettbewerb und funktionierenden Märkten, statt eines Wirtschaftsfeudalismus, in dem Leistung immer weniger zählt, Herkunft und Erbe dagegen stets wichtiger werden. Die Autorin fordert eine andere Verfassung des Wirtschaftseigentums, die Demokratisierung des Zugangs zum Kapital und die Entflechtung riesiger Konzerne, deren Macht fairen Wettbewerb und Demokratie zerstört, Talent, echte Leistung zu belohnen und Gründungen mit guten Ideen ungeachtet ihrer Herkunft zu fördern.

Surfen im Meer der Informationen

Den folgenden Text habe ich als politisch interessierter, doch wirtschaftlich ziemlich ungebildeter Laie verfasst, der in diesem Buch nicht jedes Detail verstanden hat, doch immer wieder von den vorgelegten Fakten und Analysen überzeugt wurde. «Reichtum ohne Gier» enthält eine Überfülle an Informationen, weshalb mein Text nichts anderes ist als ein Surfen auf diesem Meer interessanter Fakten des grossartigen Buches. Meine Auswahl ist subjektiv und persönlich, andere würden eine andere treffen. Einen kleinen Mangel möchte ich dennoch anführen: Ich wäre der Autorin dankbar gewesen, wenn sie die Quintessenz der einzelnen Kapitel und des ganzen Buches jeweils am Schluss zusammengefasst hätte. Aber dennoch möchte ich das Buch mit voller Überzeugung empfehlen. – Wo nichts anderes vermerkt, ist der Text eine Zusammenfassung des Buches von Sahra Wagenknecht, nah an ihrem Wortlaut zwar, doch der Lesbarkeit wegen meist ohne exakte Zitate, ausser bei fremden Autoren.

«Diese Wirtschaft tötet», hat Papst Franziskus der Kirche und der Weltöffentlichkeit ins Stammbuch geschrieben. «Vom organisierten Geld regiert zu werden ist genauso gefährlich wie vom organisierten Verbrechen», wusste schon der amerikanische Präsident Franklin D. Roosevelt. Und nach der Meinung von Sahra Wagenknecht kann man die Europäische Union ruhig als ein antieuropäisches Projekt ansehen, weil in einer marktkonformen Demokratie die Konzerne alles und der Demos nichts entscheidet, was heisst, dass nicht die Politik sich internationalisieren muss, sondern die wirtschaftlichen Strukturen dezentralisiert und verkleinert werden müssen.

Von den Lebenslügen des Kapitalismus

Ergebnisse der experimentellen Ökonomie legen nahe, dass Menschen zunächst zu kooperativem Verhalten neigen, diese Kooperationsbereitschaft jedoch verloren geht, wenn sie immer wieder durch nichtkooperatives Verhalten anderer beantwortet wird. Und dass die religiöse und gesellschaftliche Legitimierung von zuvor als Laster angesehen Eigenschaften wie Geldgier, Egoismus und sozialer Ignoranz für den gesellschaftlichen Durchbruch des Kapitalismus mindestens so wichtig war wie die Erfindung der Dampfmaschine. Weiter: Dass die Liebe zum Geld als ein positiver Wert an sich gilt, als «ein ziemlich widerliches krankhaftes Leiden, eine jener halb kriminellen, halb pathologischen Neigungen ist, die man mit Schaudern den Spezialisten für Geisteskrankheit überlässt.

Klärend erweist sich Joseph Alois Schumpeters Unterscheidung zwischen Unternehmer und Kapitalist: «Der Unternehmer arbeitet in seinem Unternehmen, der Kapitalist interessiert sich nur für das Unternehmen als Anlageobjekt.» In Deutschland befinden sich über 90 Prozent des Betriebsvermögens im Eigentum der vermögendsten 10 Prozent aller Familien, den Löwenanteil besitzt die Oberschicht der reichsten 1 Prozent. Viele vermeintliche Konkurrenten sind zudem eigentumsrechtlich miteinander verbunden, so gehören VW, Audi, Porsche, MAN, Scania, Seat und Skoda alle mehr oder minder den Familien Porsche und Piëch. Gegen diese modernen «Räuberbarone» muss es eine Abhilfe geben. In Alexander Rüstows Augen ist es «Aufgabe des Staates, durch Regeln und Verbote für funktionierende Märkte zu sorgen, auf denen sich die Konkurrenten tatsächlich nur durch überlegene Leistung Vorteile verschaffen können.» Die sagenhaften Gewinne und Milliardenvermögen, die auf diese Weise entstehen, sind letztlich das Ergebnis der Ausschaltung des Wettbewerbs.

Finanzwirtschaft statt Realwirtschaft

Als «Geld-Inzest» analysiert die Autorin den Vorrang der Finanzwirtschaft vor der Realwirtschaft. In wohl keinem anderen Wirtschaftsbereich wird ohne relevante Leistung so leicht so viel Geld verdient. Es sind 15 hemdsärmelige Investmentbanker, denen wir das Recht einräumen, über unseren Wohlstand und die Handlungsspielräume gewählter Regierungen zu entscheiden. Es gibt deshalb keine sanfte Regulierung der Finanzbranche: Entweder man kappt die Basis ihrer Macht, dieses Geld in realwirtschaftlich sinnlose oder gar schädliche Kanäle zu lenken, oder man hat verloren. Schon Mayer Amschel Rothschild wusste: «Gib mir die Kontrolle über das Geld einer Nation, und es interessiert mich nicht, wer deren Gesetze macht». Ohne andere Geldordnung gibt es keine andere Wirtschaftsordnung. So druckt die Europäische Zentralbank Banknoten in Billionenhöhe, um damit die Finanzmärkte von einer Blase zur nächsten zu jagen und die Vermögen der reichsten 1 Prozent weiter aufzublähen. Während ein mittelständischer Maschinenbauer mit weniger als 20 Prozent eigenem Kapital als kaum kreditwürdig angesehen wird, arbeiten die Banken mit einem Eigenkapital von etwa 3 Prozent. Allein in den 20 Jahren zwischen 1990 und 2010, in denen sich die Weltwirtschaft verdreifacht hat, hat sich die Finanzwirtschaft verdreihundertfacht. Denn sie hat die Regeln mitgeschrieben, die es ihr erlauben, auch in den Krisen, die sie selbst verursachen, glänzende Geschäfte zu machen.

Boomender Finanzsektor, exzessive Rüstungsproduktion und wachsender Medikamentenkonsum sind Beispiele für wirtschaftliche Aktivitäten, die das Bruttoinlandprodukt hochtreiben, die Menschen jedoch niemals reicher machen. Solche Auswüchse sind möglich, wenn in der Gesellschaft Ansehen und Respekt sich wesentlich über das Geld definieren. Wer beispielsweise Autos baut oder Maschinen wartet, hat ein höheres gesellschaftliches Ansehen als jemand, der sich liebevoll um andere Menschen kümmert. 2008 hatte der damalige Bundespräsident Host Köhler die internationale Finanzindustrie mit einem «Monster» verglichen, «das immer weniger Bezug zur Realwirtschaft hat». Geld aber ist ein öffentliches Gut, und öffentliche Güter taugen nicht für den Markt. Die Geldversorgung der Wirtschaft gehört nicht zum Aufgabenbereich gewinnorientierter Privatunternehmen, sondern in die Hand gemeinwohlorientierter Institute, die im öffentlichen Auftrag arbeiten und strengen Regeln unterliegen. Nur eine souveräne Geldordnung erlaubt staatliche Souveränität, nur ein souveräner Staat kann demokratisch funktionieren.

Eigentum neu Denken

Schon Aristoteles hatte die Legitimität von Privateigentum prinzipiell verteidigt, allerdings nur, wenn es der Sicherheit und Persönlichkeitsentfaltung dient. Doch wer entscheidet heute? Beim grossen US-Vermögensverwalter BlackRock werden seine Portfolioentscheidungen von 6000 Hochleistungsrechnern und einem Datenanalysesystem namens Aladdin gesteuert. Wagenknecht schlägt gegen Ende ihres Buches vier Rechtsformen für Unternehmen vor, welche als Grundtypen die Kapitalgesellschaft ersetzen sollten: die Personengesellschaft, die Mitarbeitergesellschaft, die Öffentliche Gesellschaft und die Gemeinwohlgesellschaft und erklärt sie. «Der Kapitalismus ist nicht ohne Alternative. Im Gegenteil: Wenn wir in einer freien, demokratischen, innovativen, wohlhabenden und gerechten Gesellschaft leben wollen, müssen wir den kapitalistischen Wirtschaftsfeudalismus überwinden. Mit einem neuen Wirtschaftseigentum, das der Gier Grenzen setzt und die hemmungslose Selbstbereicherung zulasten anderer schlicht unmöglich macht, werden wir letztlich alle reicher. Nur im Rahmen einer neuen Wirtschaftsordnung wird es uns gelingen, auch die neuen digitalen Technologien für ein besseres Leben von uns alle nutzbar zu machen und dem Ziel näherzukommen, unseren Wohlstand im Einklang mit unserer natürlichen Umwelt zu produzieren.»

Mit «Reichtum ohne Gier» eröffnet die Autorin – nach «Freiheit statt Kapitalismus», «Kapitalismus, was tun?», «Vom Kopf auf die Füsse» und «Die Mythen der Modernisierer» – erneut eine politische und wirtschaftliche, eine zutiefst ethische Diskussion über neue Eigentumsformen und die vergessenen Ideale der Aufklärung. Dafür legt sie hier eine scharfsinnige Analyse der bestehenden Wirtschaftsordnung vor und empfiehlt mögliche Schritte in ein demokratisch gestaltetes Gemeinwesen, das niemandem mehr erlaubt, sich zulasten anderer zu bereichern.

Wagenknecht, Sahra: Reichtum ohne Gier. Wie wir uns vor dem Kapitalismus retten. Campus Verlag, Frankfurt am Main 2016. 287 Seiten