Wenger, Karin: Checkpoint Huwara *
Seit Ausbruch der zweiten Intifada dreht sich die Gewaltspirale im Nahen Osten immer schneller. Der Konflikt polarisiert. Wahrgenommen werden jedoch vor allem jene Ereignisse, die Schlagzeilen machen: palästinensische Selbmordanschläge, israelische Militärinvasionen und gescheiterte Friedensverhandlungen. In «Checkpoint Huwara» lässt die NZZ-Journalistin Karin Wenger israelische und palästinensische «Helden» von ihrem Alltag erzählen. Aus ihrer Sicht berichten sie von Angst und Überforderung und davon, dass der Kriegsdienst aus Menschen Maschinen macht. Sie erzählen von Mauern und Sperrzäunen, nicht nur von denen, die Israel baut, um das Westjordanland von Israel abzutrennen, sondern vor allem von den Mauern des Schweigens.
Das Nachwort von Arnold Hottinger (das man auch als Einstieg lesen kann), das Glossar, die Zeittafel, die Karten und die Einleitungen zu den Berichten bieten mit ihren Informationen die Folie für die persönlichen und authentischen Berichte, die Karin Wenger wiedergibt und Kai Wiedenhöfer mit bedeutungsvollen Fotos bereichert. Mir ist kein Buch über den Nahen Osten bekannt, das ähnlich breit und tief das Thema aufarbeitet, erschüttert und zugleich erhellt und die hochkomplexe Situation mit Exaktheit und hoher Sensibilität in Worte bannt. Für mich Journalismus der Meisterklasse, zu dem mir als Vergleich nur noch Werke der Weltliteratur einfallen. Was mit den Methoden der «Oral History» beginnt, mit Geschichen das Schweigen bricht, die Menschen der Intifadageneration und der Besetzergeneration in den Spiegel blicken lässt, wird Weltgeschichte, zeigt Menschen in ihrer «Condition humaine». Die Hunderten, ja Tausenden von verschiedenen Aussagen sowie kleineren und grösseren Beobachtungen kreisen alle um die nie ganz fassbare Wahrheit dieser Wirklichkeiten. Ohne den Wert anderer wichtiger Bücher über Israel/Palästina schmälern zu wollen, ersetzt für mir – und vielleicht auch andere – «Checkpoint Huwara» alle andern. Der Autorin ist es gelungen, das Objektive mit dem Subjektiven, das Emotionale mit dem Intellektuellen, vielleicht auch die weibliche mit der männlichen Sicht zu einem journalistischen Meisterwerk zu verschmelzen, das hilft, die Menschen im Nahen Osten besser wahr-zu-nehmen.
Unter www.karinwenger.ch gibt es weitere Informationen über die Autorin und die Agenda ihrer aktuellen Lesetour.
Karin Wenger: Checkpoint Huwara. Israelische Elitesoldaten und palästinensische Widerstandskämpfer brechen das Schweigen. Mit einem Nachwort von Arnold Hottinger und Bildern von Kai Wiedenhöfer. Verlag Neue Zürcher Zeitung, Zürich 2008, 271 Seiten