Rudorf, Alfred: Israel in Palästina *

Israel hat schon bei seiner Gründung und seither immer wieder einseitig gegen globale Lebensgesetze verstossen und ist deshalb geächtet statt geachtet. Um das zu ändern, ist es vorleistungspflichtig, schreibt der Autor Alfred Rudorf in einem Buch, das zu lesen sich unbedingt lohnt. Der Nahost-Konflikt ist im Grund einfach gelagert, weshalb auch eine Lösung einfach sein sollte, meint der Anwalt und Mediator weiter: Ein Volk will einem andern das Land wegnehmen mit der Begründung der biblischen Verheissung und des Leidens durch den Holocaust. Diese Gründe stimmen jedoch nicht. Das Heilige Land wurde, wenn überhaupt, beiden Völkern versprochen, und die Nazis brachten die Shoa den Juden, nicht die Palästinenser.

Herausgewachsen ist das umfangreiche Buch mit dem bedeutungsvollen Titel «Israel in Palästina» aus einem Referat, das Rudorf 2009 am Runden Tisch der Sektion Zürich der Gesellschaft Schweiz – Israel gehalten hatte, mit dem man dort jedoch zu 99% nicht einverstanden war. Zusammenfassend kann ich zum informativen und spannenden Buch nur sagen: Ich kenne kein anderes, das den Nahost-Konflik mit gleicher Akribie und Leidenschaft Jahr um Jahr, Woche um Woche, Tag um Tag, Ort um Ort, Ereignis um Ereignis beschreibt wie dieses. Entstanden ist ein höchst wertvolles Nachschlagewerk, das auf israelischen oder westliche Quellen, einigen Neuen Historikern, weiteren Nahostkennern, Welthistorikern und Völkerrechtlern basiert. Neben Namen Fakten, Zahlen und Voten bietet es bekannte und neue Interpretationen. Etwas gestört hat mich, dass Boulevardblätter als Quellen angeführt werden, selbst wenn sie nicht als Beweise, sondern bloss als Illustrationen dienen. Und erschwerend waren für mich als Leser des ganzen Buches die vielen Wiederholungen, die für Lesende einzelner Themen wohl so konzipiert wurden. Ein Personen- und Sachregister sowie aufschlussreiche, wenn auch in suboptimaler Qualität gedruckte Karten rundet das Werk ab. – Soweit die «Anamnese» und «Diagnose»: für die Politiker, die durch Israels Public Relations, und die breite Öffentlichkeit, die durch Mythen der Evangelikalen auch in unseren Breitengraden manipuliert werden.

Die «Therapie», welche der Untertitel «Wegweiser zur Lösung» verspricht, kommt aus der Mediation mit ihren «globalen Lebensgesetzen»: dem Konsens-Prinzip, der Gleichwertigkeit aller Menschen, dem Gesetzt des Ausgleichs und dessen Begrenzung, dem Stuhl-Gesetz (Wer schon irgendwo sitzt, darf auch bleiben, gemeint: die Palästinenser), dem Verursacherprinzip, der Selbstbestimmung der Völker und der Unverjährbarkeit der Schulden (angefangen bei der Nakbah, der Vertreibung von rund 800’000 Palästinensern im Gründungsjahr Israels). Daraus leitet der Autor ab, Israel stehe lediglich das Gebiet ohne Ost-Jerusalem und Westjordanien zu, also ohne die Eroberungen von 1967, wo immer mehr Siedlungen entstehen, und östlich der Grünen Grenze solle sich der Staat Palästina gründen, mit Ost-Jerusalem als Hauptstadt, und Vollmitglied der UNO werden. Warum der Nahost-Konflikt bisher und auch nach der Lektüre dieses Buches in naher Zukunft nicht gelöst wird, liegt nach meiner Einschätzung am fehlenden Willen zum gemeinsamen Frieden. Moshe Zuckermanns nennt es «Die Angst vor dem Frieden». Jimmy Carters blieb nach grossem persönlichen Einsatz, auch mit dem «Harvard» Konzept», auf der Strecke. Die Palästinenserin Sumaya Farhat-Naser hat selbst bei ihren Gesprächen zwischen israelischen und palästinensischen Friedens-Frauen (erzählt in «Verwurzelt im Land der Olivenbäume») resigniert. Nach meiner Meinung könnte nur Amerika, das den «Waffen-Zionismus» Israels alimentiert, einen Frieden erzwingen. Doch Barak Obama wird seine «Hilfe» kaum stoppen, weil er dann nicht mehr gewählt würde und weil die Nahost-Politik der USA de facto von Israels Geheimdienst gesteuert wird, wie James Petras herausgearbeitet hat.

Rudorf.jpg/@@images/image/largeUnd dennoch gebührt Alfred Rudorf hoher Respekt für dieses fundierte und gleichzeitig leidenschaftliche Buch, weil er sein Ziel höher steckt als die meisten andern und damit uns zu einer existentiellen Suche nach der Lösung des Nahost-Konflikts zwingt – auch wenn wir uns dabei als ohnmächtiger, vielleicht aber dennoch als «fröhlicher Sisyphus» erleben. Als Erstes bleibt uns Lesenden, schreibt der Autor, «das Verbreiten des Wissens über die politische Situation in Nahost und über die globalen Lebensgesetze», und den Palästinensern der tollkühne Akt, nicht länger darauf zu warten, «dass uns jemand einen eigenen Staat schenkt, sondern wir ihn uns nehmen, weil er uns zusteht, und gestalten nach unseren Bedürfnissen, wie jede andere Nation auch.»

Alfred Rudorf: Israel in Palästina. Wegweiser zur Lösung. Melzer Verlag, Neu Isenburg 2010. 446 Seiten, 20 Euro.