Amirpur, Katajun: Den Islam neu denken

«Es gibt ihn doch, den modernen Islam, der für die Gleichberechtigung der Geschlechter, Demokratie, Freiheit, religiöse Toleranz und die Menschenrechte eintritt und sich dabei auf den Koran beruft!» Das verspricht der Klappentext des Buches «Den Islam neu denken» von Katajun Amirpur. Die Autorin, 1971 geboren, heute Professorin für Islamische Studien an der Universität Hamburg, schildert die Geschichte des Reformislams und macht mit seinen einflussreichsten Vordenkern in der islamischen Welt und im Westen bekannt, für welche die Zukunft des Islam schon begonnen hat. Die engagierte Autorin zeigt eindrucksvoll, dass der Islam heute vielfältiger und moderner ist, als es bärtige Islamisten und westliche Islamkritiker wahrhaben wollen. Dafür werden selbst protestantische Theologen wie Paul Tillich und Karl Barth und prominente westliche Philosophen wie Hans-Georg Gadamer und Ludwig Wittgenstein bemüht. Das Buch liefert einen gut lesbaren Überblick über die fortschrittliche Fraktion der heutigen islamischen Theologie. Doch was haben diese mit dem «real existierenden» Islam unserer Tage zu tun? Eine Frage, die mich nach der Lektüre verfolgt.

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Vielleicht, so drängt sich mir der Verdacht auf, ist das fundiert geschriebene Werk bloss eine Kompilation des islamischen Wunschdenkens. Auch wenn hier auf hohem theologischem Niveau argumentiert wird, hat dieses Denken in der Realität der islamischen Welt wenig Bedeutung und Wirkung. Vier der sechs porträtierten Muslime können nicht in islamisch regierten Ländern leben, weil dort ein offener Diskurs über religiöse Fragen nicht möglich ist. Allesamt sind sie Dissidenten oder «Islamkritiker». Zu befürchten ist, die frommen und gutmeinenden Muslime, die hier zur Sprache kommen, wohnen alle in einem Elfenbeinturm, wo Theologen für Theologen schreiben. Oder stehen sie innerhalb der muslimischen Welt bereits auf verlorenem Posten? Eine trostlose Schlussfolgerung, das gebe ich zu. Doch komme ich zum gleichen Schluss bei den Theologen des Judentums, angesichts der schönen Worte und schlimmen Taten etwa in Palästina. Und wenn ich nochmals weiterfrage: Ist es denn bei den Christen besser, im Blick auf die Menschenrechte, die Gleichheit von Mann und Frau, der Funktion der Sexualität?

Amirpur, Katajun: Den Islam neu denken. Der Dschihad für Demokratie, Freiheit und Frauenrechte. C. H. Beck, München 2013, 255 Seiten