Bingel, Peter / Belz, Winfried: Israel kontrovers. Eine theologisch-politische Standortbestimmung *

Kaum ein Begriff bietet einen derart grossen Interpretationsspielraum wie «Israel» als Staat, als Volk und als Nation, was leicht zu einem widersprüchlichen Bewusstsein und daraus abgeleitet einer fragwürdigen Politik verführt. Die beiden evangelischen respektive katholischen Theologen Peter Bingel und Winfried Belz nehmen in diesem dünnen, jedoch höchst informativen Bändchen diese und weitere Begriffe in mustergültiger Weise unter die Lupe: fundiert, sachlich und unaufgeregt.

Als internationaler und säkularer Begriff bezeichnet das Wort Israel heute den israelischen Staat. Dieser bezieht seine Legitimation aus der UNO-Resolution von 1947, der zufolge in Palästina zwei Staaten hätten entstehen sollen: ein jüdischer und ein arabischer. Der Staat Israel jedoch bleibt politisch auch umstritten, weil er eine «moralisch höchst fragwürdige Basis hat, denn seine ganze Geschichte ist mit extremer Gewalt und massivem Unrecht gegen die einheimische arabische Bevölkerung verbunden», schreiben die Autoren. Man denkt an das international anerkannte Staatsgebiet, dessen Grenze die Waffenstillstandslinie von 1949, die sogenannte «grüne Linie», ist, die heute jedoch vom Staat nicht mehr anerkannt wird. Im Bereich der Menschenrechte und des Völkerrechtes nimmt Israel zudem ein exklusives Recht in Anspruch, das es in der Staatengemeinschaft nicht gibt. Und wegen seiner expansionistischen Politik hat der Staat auch nach über 60 Jahren Existenz noch keine festen Grenzen. Wegen der Diskriminierung der palästinensischen Staatsbürger (immerhin 20 Prozent) ist auch sein Anspruch, eine Demokratie zu sein (sogar die «einzige im Nahen Osten») höchst umstritten. Oft geht man in den Diskussionen aber, das Alte Testament fundamentalistisch deutend, vom Territorium des damaligen jüdischen Grossreiches aus, das es historisch nie gegeben hat. Unter «Eretz Israel» wird von den Israelis heute ganz Palästina westlich des Jordan und darüber hinaus verstanden, das der Zionismus für sich beansprucht, was auf offiziellen israelischen Landkarten bereits als israelisches Staatsland annektiert ist. Eine klare Form von Kolonialismus im 21. Jahrhundert.

Viele Christen konservativer oder evangelikaler Provenienz argumentieren nach diesen Mythen und Legenden, was gefährlich ist, weil es die offizielle Politik, etwa in Deutschland, in den USA, aber auch in der Schweiz, in ihrer Doppelmoral bestätigt. Die Unterstützung von dieser christlichen Seite erfolgt einmal durch die «Nach-Auschwitz-Theologie», Diese vermischt das alttestamentliche Israel mit dem heutigen Judentum und setzt das religiöse mit dem ethnisch-politischen Israel gleich. Dabei wird das Unrecht der israelischen Politik ausgeblendet. Die andere christliche Unterstützung geschieht im «christlichen Zionismus». Er rechtfertigt die expansive und widerrechtliche Politik des Staates Israel, weil er im heutigen Staat Israel die Erfüllung einer alttestamentlichen Verheißung sieht.

Verdienstvollerweise werden hier erstmals die wichtigsten Adressen der Organisationen, Medien und Events, welche diese Märchen in den Medien oder direkt bei den Gläubigen verbreiten, publiziert.

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Ohne Entmythologisierung und Entideologisierung der Begriffe und der Geschichte kann der Nahost-Konflikt, der zutiefst ein Glaubenskrieg ist, nie gelöst werden. «Israel kontrovers» ist für das Thema Israel-Palästina das, was der Duden für die deutsche Rechtschreibung!

Bingel, Peter/Belz, Winfried: Israel kontrovers. Eine theologisch-politische Standortbestimmung, Rotpunkt Verlag Zürich 2013, 12 Euro