Hever, Shir: Die Politische Ökonomie der israelischen Besatzung. Unterdrückung über die Ausbeutung hinaus *
Auf ihren Ergebnissen fussen nachfolgte Autorinnen und Autoren, welche für interessierte Laien publizieren. Seit einiger Zeit gibt es neue und interessante Ansätze, Israel und Palästina aus zusätzlichen Perspektiven zu betrachtet. Hier nur drei Beispiele: Petra Wild 2013 in «Apartheid und ethnische Säuberung in Palästina» aus der Kolonialismusforschung und Viktoria Waltz 2014 in «Von Basel nach Jerusalem, Ein Crash-Kurs» aus der Raumplanungsforschung. Der dritte Autor ist der 1978 geborene Shir Hever, der aus dem Blickwinkel der Wirtschaftsforschung die Situation vor Ort beschreibt und analysiert. Er ist Mitarbeiter des Alternative Information Center, einer palästinensisch-israelischen NGO. Unter anderem untersucht er die ökonomischen Auswirkungen der israelischen Besatzung, die internationale Hilfe für Palästina und Israel und die Kampagnen für Boykott, Desinvestment und Sanktionen gegen Israel. Zurzeit lebt Hever in Göttingen und arbeitet an seiner Dissertation über die Privatisierung im israelischen Sicherheitsbereich.
Shir Hever zeigt auf, dass das Verständnis der wirtschaftlichen Dimensionen entscheidend ist, um den israelisch-palästinensischen Konflikt zu begreifen. Er verwirft die These, Israel behalte wegen materieller Vorteile die Kontrolle über die palästinensischen Territorien und verteidige sich bloss gegen palästinensische Aggressionen. Und er vertritt die Ansicht, dass die Besatzung in eine Sackgasse geraten sei, da der palästinensische Widerstand es der israelischen Wirtschaft schwierig macht und die Israeli sich gleichwohl weigern, die Besetzung aufzugeben. Immer wieder muss die Analyse mit Annäherungswerten arbeiten, da die israelische Regierung in ihren Budgets stets mit hochdifferenzierten Verschleierungstechniken arbeitet. Offenbar wird auch, dass die Gelder, die den Palästinensern weggenommen und den Israelis zugeschoben werden, sich nicht in Millionen-, sondern in Milliardengrössen bewegen. Und es wird mit Zahlen bewiesen, dass Israel mehr internationale Pro-Kopf-Hilfe erhält als Palästina. Und en passant wird wieder einmal festgehalten, dass Israel keine Demokratie ist und die Trennmauer nicht für die Sicherheit, sondern die Segregation gebaut wurde. Gegen Schluss schreibt der Autor, «dass der israelisch-palästinensische Konflikt eine wesentliche globale Bedeutung hat. Er ist ein Laboratorium, wo ziviler Widerstand der hochentwickelten Maschinerie der Kontrolle gegenübersteht und wo Menschenmassen aufragenden Betonmauern gegenüberstehen. Der Ausgang dieses Konfliktes wird nicht nur die Zukunft dieser Region, sondern die Gestalt zukünftiger Konflikte und Besatzungen in der ganzen Welt bestimmen.»
Shir Hever gilt heute als einer der scharfsinnigsten Analytiker der israelischen kritischen Linken. Als ernsthaft engagierter Intellektueller überwindet er die Kluft zwischen Akademikern und Aktivisten. Während die traditionellen Wirtschaftsanalysen die Situation der «palästinensischen Wirtschaft» und der «israelischen Wirtschaft» nicht zu erklären vermag, bietet dieses Buch wirtschaftstheoretische und praktische Einstiegsmöglichkeiten, die Fragen neu zu beantworten. «Von dieser Art von Büchern hängt wirkungsvolles politisches Handeln ab», meint Jeff Halper, Direktor des Israeli Commitee Against House Demolitions (ICAHD). Politisches Handeln verlangt er. Doch von wem? Von Israel ist sie nichts zu erwarten, wenn von irgendjemand, dann von uns in der sogenannten freien Welt. Da stünde es uns Schweizern beispielsweise gut an, etwas zu tun oder wenigstens das zu unterlassen, was wir in der Wirtschaft, der Kultur und beim Militär mit Israel gegen Palästina unternehmen.
Hever, Shir: Die Politische Ökonomie der israelischen Besatzung. Unterdrückung über die Ausbeutung hinaus. ISP, Köln 2014, 263 Seiten