Jasch Hans-Christian, Kaiser Wolf: Der Holocaust vor deutschen Gerichten. Amnestieren, verdrängen, bestrafen
Haus der Wannsee-Konferenz. (c) Wikipedia
Von den Nürnberger Militärtribunalen (1945 – 1949) bis zu den Verfahren gegen John Demjanjuk und Oscar Gröning gab es verschiedene Phasen der Aufarbeitung, die in engem Zusammenhang mit der gesellschaftlichen Entwicklung in beiden deutschen Teilstaaten und in der erweiterten Bundesrepublik stehen. Anhand bekannter und unbekannter Prozesse zeigen die Autoren Defizite und Fehlentwicklungen auf, aber auch die Leistung der Justiz bei der Ermittlung und Ahndung der beispiellosen Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Die Verfasser der sorgfältig recherchierten und lesbar geschriebenen Arbeit sind Dr. jur. Hans-Christian Jasch, Direktor des Hauses der Wannsee-Konferenz, und Dr. phil. Wolf Kaiser, ehemaliger stellvertretender Direktor und Leiter der Bildungsabteilung der Gedenk- und Bildungsstätte Haus der Wannsee-Konferenz.
«Streichelstrafen für Mördernazis» bezeichnete der Philosoph Ernst Bloch 1963 den juristischen Umgang mit NS-Verbrechern in Deutschland. Und die Autoren schreiben in ihrem «Fazit»: «Die Bilanz der strafrechtlichen Aufarbeitung der NS-Vergangenheit, insbesondere der Holocaustverbrechen durch bundesdeutsche Gerichte ist tatsächlich zwiespältig. Eine systematische Strafverfolgung begann erst angesichts der nach damaligem Recht unmittelbar drohenden Verjährung von Tötungsdelikten, zu einem Zeitpunkt, als viele Funktionsträger des NS-Staates, darunter auch Täter des Holocaust, wieder in die Nachkriegsgesellschaft integriert waren. Auf den Abschluss der "Entnazifizierung" folgte für nicht wenige aufgrund des Gesetzes zu Art. 131 Grundgesetz sogar die Wiederaufnahme in den öffentlichen Dienst.» Mit Zahlen und Dokumenten referieren und belegen Jasch und Kaiser, wie amnestiert, verdrängt oder bestraft wurde. Im Kapitel «Erklärungsversuche» lassen sie uns, zwar in Juristensprache, aber dennoch auch für Laien verständlich nachvollziehen und verstehen, warum es so und nicht anders verlief. Dabei kommen aber auch Kritiker zu Worte. So der Publizist Ralph Giordano (1923 – 2014), der in der strafrechtlichen Aufarbeitung des Holocaust einen Teil der «zweiten Schuld» der Deutschen sah. Und ebenso der Generalstaatsanwalt Fritz Bauers (1903 – 1968), der die Tatsache kritisch festhält, dass die Senate des Bundesgerichtshofes in der Anfangszeit zu einem grossen Teil mit alten Reichsgerichtsräten besetzt waren und sich auch in ihrer Rechtsprechung in der Tradition des Reichsgerichts verstanden.
Mir, als Nicht-Juristen, erscheinen die in diesem Werk ausgebreiteten und interpretierten Tatbestände lesenswert und wichtig für das Verständnis des gesellschaftlichen Bewusstseins der deutschen Nachkriegszeit. Grundsätzlich steigen mir dabei jedoch Zweifel auf, ob angesichts des alle Grenzen sprengenden Verbrechens des Holocaust es je möglich sein wird, bildlich gesprochen, menschliche Gerechtigkeit in die Gefässe der Rechtsprechung abzufüllen. Und leise möchte ich noch anfügen, dass diese respektable und ehrenwerte publizistische Aufklärung, die mit dieser Studie geleistet wird, nicht Anlass oder Vorwand bieten darf, dass die heutige Bundesrepublik und ihre Bundeskanzlerin sich weiterhin dominant als Schutzmacht des (heutigen!) Israel aufspielen und dabei die Übeltaten, die der Zionismus in den letzten siebzig Jahren als Kolonialmacht den Palästinensern gegenüber verübt, verschweigt – was wiederum andere dazu verwenden, Veranstaltungen zu behindern oder zu verhindern, die über die Wirklichkeit in Israel-Palästina informieren wollen.
Jasch, Hans-Christian und Kaiser, Wolf: Der Holocaust vor deutschen Gerichten. Amnestieren, verdrängen, bestrafen. Reclam, Ditzingen 2017. 263 Seiten