Makdisi, Saree: Palästina. Innenansichten einer Belagerung

«Ich kann meine kurzen, einleitenden Worte zu diesem Buch nicht beginnen», schreibt Alice Walker im Vorwort zur englischen Originalausgabe von 2009, «ohne mich schweigend und dankbar vor Autoren wie Charles Dickens, Harriet Beecher Stowe, Frederick Douglas, Victor Hugo und anderen zu verneigen, die, ebenso wie Saree Makdisi, den Mut, die Geduld, den Willen und Menschenliebe aufbringen, den Schmerz des Wissens um das Schicksal grauenhaft misshandelter Menschen auf sich zu nehmen (…), und über sie zu schreiben. Als ich das Buch las, hatte ich den Eindruck, dass nur ein Heiliger es ertragen kann, über so viel Grausamkeit und diabolischer Folter nachzudenken, wie die Palästinenser sie unter der israelischen Militärherrschaft täglich ertragen müssen.» Ich möchte mich dieser Hommage an den 1964 geborenen Autor anschliessen, in der Hoffnung, dass dieses Buch eine ähnliche politische Wirkung haben wird wie einst «Onkel Toms Hütte» für die Abschaffung der Sklaverei und «Oliver Twist» gegen Kinderarbeit und Pauperismus zur Zeit der Frühindustrialisierung.

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Was macht das Buch von Saree Makdisis so einmalig, so dass es die Lektüre der allermeisten andern Bücher über Israel/Palästina erübrigt? Es ist keine Schilderung des Widerstandes gegen die israelische Besatzungspolitik, sondern eine minutiöse Bestandsaufnahme des alltäglichen Belagerungszustandes. Es ist ein grosses Sittengemälde, wie wir Ähnliches von Malern und Schriftstellern kennen. Zu Wort kommen hier die Opfer der Besatzungspolitik – Bauern, Hirten und Hausfrauen aus den besetzten Gebieten – und es wird die alltägliche Schikane durch Behörden, Militär und Polizei geschildert. Begreifbar wird in diesem Report, dass ein normales Leben weder in der Westbank noch im Gazastreifen möglich ist, Die täglichen Erniedrigungen, Misshandlungen und gewaltsamen Übergriffe der Besatzungsbehörden und Militärs berauben die Menschen in Palästina ihrer Würde und Menschenrechte, machen sie zu Objekten einer unberechenbaren Willkürherrschaft, deren Ziel es ist, den Widerstandswillen eines ganzen Volkes zu brechen. Untermauert werden die persönlichen Schilderungen durch offizielle Aussagen, Dokumenten, Zeugnisse von Friedensengagierten (u.a. der israelischen Menschenrechtsorganisation B'Tselem) im Hintergrund durch die Feststellungen der neuen Historiker (wie Pappe, Zertal, Segev, Morris), welche seit bald 10 Jahren die Dokumente öffentlich machen, die die neue, die wirkliche Geschichte Palästinas schreiben, die die weltweit verbreiteten Mythen Lügen strafen. Makdisi leistet die dringend notwendige «Übersetzerrolle» zwischen den unendlich vielen Fakten dieser Wissenschaftler und der breiten interessierten Öffentlichkeit. Das Buch ist verständlich geschrieben, mit zahlreichen bisher nicht publizierten Karten und eigenen aussagekräftigen Fotografien illustriert sowie mit 42 Seiten kommentierten Quellenangaben untermauert. Es vertritt, wie viele neuere Forscher eine Ein-Staaten-Lösung.

Dieses Buch sollten alle lesen, die durchblicken wollen, was in Israel/Palästina geschehen ist und geschieht. Ich denke mir, wenn in Amerika und in Europa diese Informationen flächendeckend verbreitet würden, wäre der Nah-Ost-Konflikt zu lösen. Denn er wird, so meine Meinung, kaum von den beiden Völkern gelöst, wenn nicht die Zivilgesellschaft und die Politik der übrigen Welt mitwirken – und da haben Deutschland und die Schweiz ihren Beitrag zu leisten. Saree Makdisis Buch ist zu Recht nominiert für den «Humanitarian Book Award» und wurde vom amerikanischen Ex-Präsidenten Jimmy Carter als eines der wichtigsten und besten Bücher der letzten Jahre zum Nahost- Konflikt bezeichnet.

Makdisi, Saree: Palästina. Innenansichten einer Belagerung. Laika Verlag, Hamburg 2011. 410 Seiten