Zuckermann, Moshe: «Antisemit!» *

 

Die Behauptung, Antisemitismus sei einer der schlimmsten Formen moderner Ideologien, bedarf heute keines Nachweises, zu katastrophal waren ihre Auswirkungen. Seine Ächtung ist gesellschaftliche notwendig. Problematisch und kontraproduktiv wird sie jedoch, wenn er Begriff politisch missbraucht wird, wenn Gegner der israelischen Kriegs-, Vertreibungs- und Siedlerpolitik als Antisemiten desavouiert werden oder wenn dieser Vorwurf israelischen Lobbies als Instrument dient, ihre Gegner mundtot zu machen. Für Moshe Zuckermann steht fest, dass diese Verwendung des Anti-Antisemitismus-Vorwurfs als Parole im vermeintlichen Kampf gegen Antisemitismus «in eine fürchterliche Epidemie umgeschlagen ist.» Ob diese Epidemie zu heilen ist, ist abzuwarten, sie im Alltag ins Bewusstsein der Öffentlichkeit zu holen und zu kritisieren, ist heute nötiger denn je. Das leistet der Jude und Israeli Moshe Zuckermann, der 1949 in Tel Aviv geboren wurde und heute an der dortigen Universität Geschichte und Philosophie lehrt, auf profunde und überzeugende Weise. Am 17. November 2010 gab er ein Interview zum Buch, das als Einführung dienen kann.

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Wenn die Israeli nicht davon wegkommen, Kritiker und Friedensengagierte zu bekämpfen, ist das «Projekt des Zionismus» nie zu realisieren, sondern wird Israel wegen dieses «Realitätsverlustes» entweder im Bürgerkrieg oder im Krieg mit der übrigen Welt enden. Warum das so ist, zeigt er in seinen mit äusserster Akribie durchgeführten Analysen des Themas «Zionismus und Antisemitismus» am Beispiel der UNO-Rede von Benjamin Netanjahu vom 24. 9. 2009, der Figur des Aussenministers Avigdor Lieberman und mit Israels Ablehnung des Goldstone-Berichts über den Gaza-Krieg. Ebenso belegt er seine Schlüsse in der Untersuchung des Themas «Israels politische Kultur», aufgezeigt an den am 7. 3. 1010 in der «Haaretz» erschienen Artikeln. Im zweiten Teil des Buches beschäftigt er sich mit dem Thema Antisemitismus in Deutschland, z. B. in der Knesset-Rede von Angelika Merkel vom 18. 3. 2008 und den Machenschaften rund um eine Veranstaltung mit Filmen des Juden Claude Lanzmann.

Informationsreich und scharfsinnig legt Zuckermann seine historischen, soziologischen, politischen und religionsphilosophischen Analysen des Geschehens dar. Das Werk ist dem komplexen Stoff angemessen auch hoch komplex; in einzelnen Teilen wünschte ich mir als Lesehilfe etwas journalistische Vereinfachung. Doch lohnt sich schliesslich die Lektüre dieser fundamentalen Auseinandersetzung des bekannten Historikers und Philosophen über das Thema «Nahostkonflikt», exemplifiziert am Schlagwort «Antisemitismus».

Moshe Zuckermann: «Antisemit!» Ein Vorwurf als Herrschaftsinstrument, Promedia Verlag, Wien 2010, 208 Seiten