Peled, Miko: Der Sohn des Generals. Reise eines Israelis in Palästina *
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Über seinen aussergewöhnlichen Werdegang hat Miko Peled 2012 ein Buch geschrieben, das 2016 auch in Deutsch erschienen ist. Noch bevor er lesen lernt, konnte der kleine Avram Peled sämtliche Ränge der israelischen Armee auflisten und deren ganzes Waffenarsenal aufzählen. Wenn er mit seinem Vater, dem ehemaligen General, durch das israelisch besetzte Westjordanland fuhr, fühlte er sich wie ein Eroberer. Sein Grossvater, Avraham Katznelson, war ein Führer der zionistischen Bewegung und einer der Unterzeichner der israelischen Unabhängigkeitserklärung von 1948. Wenn es so etwas wie eine jüdisch-zionistische Aristokratie gäbe: Die Familie Peled gehörte definitiv dazu.
Die Schilderung des Lebens seines Vaters, des israelischen Generals Matti Peled, der 1967 durch seine Rücktrittsdrohung den folgenschweren Krieg Israels gegen seine Nachbarstaaten Ägypten, Jordanien und Syrien erzwang, flösst Respekt, ja Bewunderung ein. Es war der Krieg, der zur Besetzung grosser arabischer Territorien und damit zu der verfahrenen Situation von heute führte. Doch Peleds Vater trat in den letzten Jahrzehnten seines Lebens energisch für eine Versöhnung zwischen Israelis und Palästinensern und einen gerechten Frieden auf der Basis der Gleichberechtigung ein. Doch erst die «Reise nach Palästina» seines Sohnes, die wörtlich und symbolisch zu verstehen ist, macht schliesslich sichtbar, wo der Vater nicht genügend kritisch und selbstkritisch, letztlich radikal, zu den Wurzeln vorstossend, war. Er hatte nie den Zionismus als den Kern des Nahostkonfliktes erkannt und folglich ihm auch sein Leben lang nie abgeschworen: den Zionismus, dessen Botschaft doch heisst, Israel gehört uns, es wurde uns von Gott gegeben. Hier aber kann man den Kern des Konfliktes festmachen. Denn der Zionismus ist ein Kolonialismus.
Peleds Sohn Miko war anfänglich vor allem an seiner beruflichen Laufbahn als Kampfsportlehrer interessiert. Er lebte in Kalifornien, als ihn 1997 ein schockartiges Ereignis aus seiner relativen politischen Lethargie riss. Seine 13-jährige Nichte war durch einen palästinensischen Terroranschlag getötet worden. Statt aus diesem traumatischen Ereignis die Konsequenz zu ziehen, die Araber und Palästinenser zu hassen, schlug er den entgegengesetzten Weg ein und widmete sich konsequent der Frage: Wie konnte es zu diesem furchtbaren Ereignis kommen? Wer sind die Menschen, aus deren Mitte dieses Attentat hervorging? Was haben wir, die Israelis, getan, um sie zu solchen Aktionen zu treiben? Und: Wie können wir, Israelis wie Palästinenser, eine Situation schaffen, in der zwischen uns Frieden wird, statt eine sinnlose, zerstörerische Feindschaft, auf deren Altar täglich Menschenleben geopfert werden?
Von dieser «Reise», zu der vor allem «Forschungsexpeditionen ins Feindesland der anderen Seite» gehören, berichtet Miko Peleds starkes, überzeugendes und berührendes Buch. Es ist geprägt von tiefer Menschlichkeit und vermittelt neue Einsichten, jenseits gängiger politischer Schablonen und Klischees. Sein langer, beschwerlicher und gefährlicher Weg führte den Sohn, Schritt um Schritt, über die Grenzen hinaus, zum Kern des Nahostkonfliktes: zum Zionismus und dahinter zum Kolonialismus. Da weltweit offiziell und oberflächlich die Kolonialismen beendet sind, denkt man, müsste auch in Israel/Palästina eine Lösung möglich sein. Doch die Kolonialismen wurden nur offiziell und oberflächlich beendet. Schaut man genau hin, so erkennt man, dass sie in der neuen Form des Wirtschaftskolonialismus weiterleben. In einer Zeit, in der Trump in Amerika und kleine Trumpfs in Europa ihr Unwesen treiben, wird offenbar, dass vom Zionismus, respektive Kolonialismus, respektive Wirtschaftskolonialismus keine Lösung zu erwarten ist. Auch nicht, wenn die berühmte US-amerikanische Schriftstellerin und politische Aktivistin Alice Walker im Vorwort schreibt: «Es gibt nur wenige Bücher über das Thema Israel/Palästina, die mir so hoffnungsvoll scheinen wie dieses.» Wenn das Leben von Matti Peled und vor allem Miko Peled auch im höchsten Masse betroffen machen, so mündet dies bei mir nicht in Hoffnung, sondern in Resignation, Verzweiflung und Wut.
Das Buch «Der Sohn des Generals» empfehle ich mit voller Überzeugung allen, die es von zwei grossen Israelis wissen wollen, was beispielsweise 1948 und 1967 wirklich ablief, damit sensibilisiert, was heute und voraussichtlich in Zukunst im Israel von Benjamin Netanjahu geschehen wird.
Peled, Miko: Der Sohn des Generals. Reise eines Israelis in Palästina. edition 8, Zürich 2016, 351 Seiten