Nusseibeh, Sari: Es war einmal ein Land *

Wenn grosse Persönlichkeiten Autobiografien schreiben, werden diese oft gleichzeitig zur «Biografie» eines Landes oder Volkes. Und da Sari Nusseibeh eine solche ist, wird seine Lebensgeschichte auch eine Chronik Palästinas, die mehr als ein halbes Jahrhundert umfasst: persönlich erlebt und sachlich reflektiert, von aussen und von innen gesehen und beschrieben. «Es war einmal ein Land» zählt für mich zu den spannendsten und verständlichsten, berührendsten und informativsten Bücher über Palästina, vergleichbar mit Amos Oz' Autobiographie «Eine Geschichte von Liebe und Finsternis», welche auch Israel porträtiert.

Was sich wie ein Märchen ankündigt, handelt von Krieg und Frieden, Verrat und Korruption, Schurken und Opfern, aber auch von der Liebe. Ob das «Märchen» gut endet, wissen wir nicht; das Buch endet 2005. Doch versteht man nach diesem bewegten und bewegenden Werk Nusseibehs, des heutigen Rektors der Al-Quds-Universität in Jerusalem, etwas Einfaches und doch Fundamentales über den israelisch-palästinensischen Konflikt: Die absolute Voraussetzung für eine Lösung ist die Kenntnis des Lebens der Andern und das Mittel dazu der Dialog auf allen Ebenen.

Der Autor, Jahrgang 1949, wuchs im arabischen Teil Jerusalems in einer alteingesessenen, wohlhabenden Familie auf. Seine Eltern erzogen ihn kosmopolitisch. Als er in England studierte, eroberte die israelische Armee den Ostteil seiner Stadt. Andern als viele privilegierte Palästinenser, die das Land verliessen, kehrte er zurück, um die Zukunft seines Volkes mitzugestalten: in vielfältigen Funktionen, als Opfer und Täter, als intellektueller Kopf der zweiten Intifada, oftmals dem innersten Kreis derjenigen, die hier Weltpolitik machten, angehörend. Er war Akteur, wo nötig, und Beraters, wo erwünscht, nicht aber der reine Macher, sondern eher der Philosoph. Gegen Ende des Buches heisst es: «Lucys (seiner Frau) weise Worte eignen sich gut, um die Chronik eines Lebens in einem zerrissenen und geschundenen Land zu beschliessen. Die Dualität von Gut und Böse, Schwarz und Weiss, Richtig und Falsch, „uns“ und „ihnen“, unseren „Rechten“ und ihrem „Machtanspruch“ haben das Land in Stücke gerissen. Wir können nur dann wieder Hoffnung gewinnen, wenn wir der Weisheit der Tradition lauschen und erkennen, dass Jerusalem nicht gewaltsam erobert oder gehalten werden kann. Es ist eine Stadt dreier Religionen, die der ganzen Welten offensteht.» Bleibt zu hoffen, dass Sari Nusseibeh seine Stimme weiter erheben kann, dass sie von den Palästinensern, den Israelis und der Weltöffentlichkeit gehört wird und dass seine Ideen ernst genommen werden.

Sari Nusseibeh: Es war einmal ein Land. Ein Leben in Palästina. Verlag Antje Kunstmann, München 2008, 526 Seiten