Sivan, Eyal, Laborie, Armelle: Legitimer Protest. Plädoyer für einen kulturellen und akademischen Boykott Israels *
Der weltweite Aufruf zum Boykott des israelischen Staates soll mithelfen, die zentralen Forderungen der palästinensischen Bevölkerung durchzusetzen, nachdem unzählige UN-Resolutionen wirkungslos blieben. Es geht um ein Ende der Siedlungstätigkeit in den besetzten Gebieten, eine Gleichstellung der arabischen Bürger Israels und das Recht auf Rückkehr der vertriebenen Palästinenserinnen und Palästinenser. Motivierend zu diesen Aktionen war von Anfang an der erfolgreiche Boykott Südafrika im Jahre 1964. Für Israel besteht ein wichtiges Exportgut, neben Orangen, Datteln, Sodawasserapparate und Waffen, in seinem kulturellen und wissenschaftlichen Image. Der internationale Ruf, den seine Hochschulen geniessen, und einige Filme und Bücher, die international aufhorchen lassen, verdeckt jedoch die völlig andere Realität als Besatzermacht und Kolonialstaat, nämlich die enge Verbindung zum Militär. Eine besondere Rolle kommt dabei Künstlerinnen und Künstler (wie z.B. Ken Loach, Sinéad O'Connor, Roger Waters oder Annie Lennox) und Wissenschaftler wie dem Physiker Stephen Hawking zu. Die israelischen Filmemacher Eyal Sivan und Armelle Laborie berichten in ihrem Buch über den Boykott israelischer Forschungs- und Kultureinrichtungen. Gleichzeitg setzen sie sich mit dem Gegenangriff auseinander, der die Boykottbewegung zu delegitimieren und zu kriminalisiseren versucht: mit dem inflationären Vorwurf des «Antisemitismus» für alle Israel-Kritiker.
Kultur- und Wissenschafts-Boykott, also Zensur, ist eine heikle Sache. Weshalb eine ausführliche Analyse wichtig ist, hier zum Beispiel der millionen-schwere Aktionen der PR-Büros und Branding-Agenturen, die intensiv daran arbeiten, das weltweit verbreitete katastrophale Image Israels zu korrigieren, indem sie Israel eine neue Marke verpassen, wofür auch Kultur und Wissenschaft systematisch eingebunden werden in die politischen und militärischen Strategien. Sie werden bezahlt und gefördert, um die neuen Bilder von Israel zu verbreiten, bei welchen von freiem künstlerischen und wissenschaftlichen Arbeiten kaum mehr die Rede sein kann. Netanyahu und seine Mitstreiter versuchen, mit immer neuen «Argumenten» aufzuzeigen, dass die ganze Welt gegen sein Land sei, obwohl Israel doch die «menschlichste Armee der Welt» habe und die «einzige Demokratie des Nahen Osten» sei. Eine Armada von Kommunikatoren arbeiten dafür, Erklärungen zu formulierne, Erlebnisse und Ereignisse zu kreieren, die Israel ein neues, schönes, heiles Brand verpassen. Millionen von Dollars werden Jahr für Jahr dafür verwendet, um weltweit das breite Volk, aber vor allem die Meinungsmacher, die Medien, die Eliten mit Botschaften zu erreichen wie den folgenden:
Wichtig ist nicht, recht zu haben, sondern attraktiv zu sein. Die Stategie der Neupositionierung beinhaltet dreierlei: jeden Bezug zum Konflikt weglassen, positive Bilder mit Israel in Verbindung bringen und übereinstimmende Moralvorstellungen und ähnliche Werte von Israelis und Westlern betonen. Den Zionismus verkaufen, ohne vom Zionismus zu sprechen. Filme und Videoclips verbreiten, um Lebensart, Humor und Kreativität der Israelis aufzuzeigen. Eine politische Firewall gegen die Delegitimierung Israels aufbauen. Israel insgesamt als eine aufgeklärte westliche Demokratie darstellen, in der Reichtum, Modernität, Laizismus, Geschlechtergleicheit und Wohlwollen gegenüber der homosexuellen Community herrschen. Innovation für das Leben, Land der Erfolge, Land of Creation. Israel ist eines der moralischsten, multikulturellsten und mitfühlendsten Länder der Erde. Das andere Israel, das Kunst liebende, das Israel der Exzellenz und der Qualität zeigen.
Dass hier Kultur und Wissenschaft zu einer strategischen Waffe verkomme, wird den Lesenden wohl klar. Die Strategie hinter all diesen neuen Brands ist das Militär, sie will den Westen mit Büchern, Filmen, Theaterstücken und Kunstausstellungen bombardieren, um die Attraktivität Israels zu erhöhen. Die Unsumme solcher und ähnlicher «Argumente» überzeugt die Autoren und wohl auch uns, dass ein Boykott der Kunst und Wissenschaft aus Israel legitim ist, denn Kunst und Wissenschaft haben hier nichts mit Freiheit zu tun. – Im Anhang des Buches sind die offiziellen Dokumente zum BDS-Boykott nachzulesen. Eyal Sivans und Armelle Labories «Legitimer Protest. Plädoyer für einen kulturellen und akademischen Boykott Israels» ist ein wichtiges Buch, auch über das Thema hinaus, weil es Hintergründe in den Vordergrund rückt, die den meisten bei uns unbekannt sind.
Sivan, Eyal und Laborie, Armelle: Legitimer Protest. Plädoyer für einen kulturellen und akademischen Boykott Israels. Promedia Verlag, Wien 2018, 184 Seiten