Waltz, Viktoria: Von Basel nach Jerusalem. Ein Crash-Kurs
Bisher holte ich mein Wissen über Israel/Palästina bei den Neuen Historikern, bei Ilan Pappe, Tom Segev, Benny Morris und Avi Shlaim, die zwischen 1988 bis 2008 die Wissenschaft über die Geschichte Israels und Palästinas begründet und gegen die Mythen der Zionisten angekämpft haben. In ihrem Gefolge leisteten andere die weiter führende Detailarbeit und die Analysen der Fakten. Seit heute finde ich, gibt es für mich einen neuen zusätzlichen Zugang zum Verständnis des Nahostkonfliktes: denjenigen der heute 71jährigen renommierten deutschen Wissenschaftlerin der Raumplanung Viktoria Waltz. Sie zeigt detailliert auf, wie der Zionismus raumplanerisch sein Ziel gesteckt und Schritt für Schritt verfolgt hat und weiter verfolgt – und alles daran setzt, in Palästina einen jüdischen Gottesstaat zu errichte. Ihr Verdienst ist es, den Begründungszusammenhang des «Projektes Israel» aus der moralischen Verpflichtungskausalität herauszuheben und den langen zionistischen Plan anhand von Dokumenten, Karten und Zitaten zionistischer Planer aufgedeckt zu haben.
Auf den ersten Blick hört sich «Raumplanung» harmlos und unverfänglich an, ist in Tat und Wahrheit aber hochgradig politisch. Von 1973 bis 2007 hat Viktoria Waltz dieses Fach an der Universität Dortmund unterrichtet. Die planerischen Vorhänge in einem geographischen Raum haben sie nicht nur unter einem räumlichen, wirtschaftlichen oder sozialen Aspekt interessiert, sondern immer auch in einem gesellschafts- und geopolitischen Blickwinkel aus. Bei Letzterem spielt die Kolonisierung eine wichtige Rolle, die heute wieder en vogue ist. Bei diesem Stichwort kommt die zionistische Kolonisierung Palästinas ins Spiel. Schon während ihres Architekturstudims an der Technischen Universität Berlin war der Konflikt Israel/Palästina eines ihrer Interessenschwerpunkte. Der SDS sprach sich 1967 als einzige Organisation gegen den imperialistischen Krieg aus, den Israel im Juni führte; Waltz war Mitglied dieses Studentenverbandes, anders als der «SS-Mann» Günter Grass, der damals die Studenten aufrief, Socken für die israelischen Soldaten zu stricken!
Folgt man der zentralen These von Viktoria Waltz, so ist das «Projekt Israel» ein Planungsprozess, der beim ersten Zionistischen Kongress 1897 in Basel gestartet wurde. Er konzentriert sich auf das Land eines anderen Volkes, des palästinensischen, dessen Existenz völlig zerstört werden soll. Denn es geht um die Schaffung eines «reinen jüdischen Staates», in dem es keinen Platz für die indigene Bevölkerung gibt. Das «Expropriationswerk», wie es der Gründungsvater des Zionismus, Theodor Herzl, genannt hat, läuft nicht im Geheimen, sondern vor den Augen der Weltöffentlichkeit ab. Jeder sieht es, aber niemand von den Grossen protestiert dagegen, obgleich dieser Vorgang nichts mit Demokratie, Rechtsstaatlichkeit oder Völkerrecht zu tun hat. Auch wenn die israelisch-politische Elite weiter von einem «jüdischen und demokratischen» Staat spricht, bleibt Israel eine «Ethnokratie» (Felicia Langer). Was diesbezüglich geschehen ist, zeigt die Forscherin mit überzeugenden Fakten: «Die Mehrheitsverhältnisse beim Bodenbesitz und der Bodenkontrolle haben sich in den letzten 100 Jahren schrittweise und immer in gewaltsam geführten Etappen zugunsten Israels umgekehrt (aus dem «Schlusskommentar», Seite 158/9):
- «Von weniger als 1 % zur Zeit des Basler Beschlusses,
- auf 6 % bis zum Ende der Mandatszeit,
- mit Druck auf über 60 % erhöht durch den UN-Beschluss,
- mit Gewalt und Krieg erhöht auf über 70 % in erweiterten als den UN-Plan-Grenzen,
- in Israel selbst in weniger als 5 Jahren durch administrative und gesetzliche Gewaltanwendung auf über 90 %,
- durch den 67er Krieg und die Besatzung der Westbank und des Gaza-Steifens erneute Veränderung der Bodenbesitzverhältnisse über Militäraktionen, sowie erneute illegale administrative und gesetzliche Gewaltanwendung, dort bis zum Oslo Prozess über 70 %,
- Mithilfe des internationalen Druckes auf die palästinensischen Vertretungen und fortgesetzter administrativer und gesetzlicher Gewaltanwendung eine weitere Gebietseroberung, sodass
- bis heute nur noch 6 % unter Palästinensischer «Selbstverwaltung» stehen.»
Im Anschluss fragt die Autorin: «Wo wird die Reise noch hingehen? Welche Grenzüberschreitungen sind noch möglich?» Die Antworten haben die Leserinnen und Leser selbst zu suchen. Meine persönliche heisst: Der Zionismus arbeitet systematisch auf einen Genozid der Palästinenser hin, der in den nächsten Jahrzehnten durchgeführt sein wird, wenn die Weltöffentlichkeit dies nichts mit aller Macht verhindert. – Für das fundierte, höchst anregende und mutige Buch «Von Basel nach Jerusalem. Ein Crash-Kurs», das die entscheidenden Fragen stellt und Materien für deren Beantwortung liefert, ist Viktoria Waltz wärmstens zu danken.
Waltz, Viktoria: Von Basel nach Jerusalem. Ein Crash-Kurs. Theorie und Praxis Verlag, Hamburg 2014, 172 Seiten mit vielen Karten und Grafiken