Weizman, Eyal: Sperrzonen. Israels Architektur der Besatzung *

Als ich mit der Lektüre dieses Buches begann, befürchtetet ich eine ästhetische l’art pour l’art-Publikationen über die Architektur in Israel/Palästina, obwohl ich den Satz von Walter Benjamin kenne, nach dem die Architektur das wichtigste Massenmedium sei. Doch sehr schnell merkte ich, dass Eyal Weizman ein brillanter Nachfolger der Neuen Historiker Benny Morris, Ilan Pappe, Avi Shlaim, Tom Segev und Shlomo Sand ist. Wenn diese die Makroanalyse liefern, konzentriert sich jener auf die Mikroanalyse und liefert unzählige neue und erschütternde Erkenntnisse auch für Leute, die den Nahostkonflikt zu kennen glauben. Weizman ist Architekt, Direktor des Center for Research Architecture in London und steht in engem Kontakt mit Menschenrechtsorganisationen in Israel und Palästina. Für ihn ist israelische Architektur in Palästina eine «in Material gegossene Politik».

Sperrzonen, mobile Kontrollpunkte, die Mauer, Barrieren, Blockaden, Vorposten und Checkpoints sind einige der zahlreichen Themen, die hier mit grösster Seriosität inkl. 47 Seiten Anmerkungen untersucht werden. Weizmans Ansatz ist «subkutan», indem er zeigt, welche Theorien und/oder Ideologie unter den Aktionen verborgen sind. Minutiös schildert er die vielfältigen Versuche, Palästina zu besetzen, zu zerschneiden, zu teilen, auszuweiden, zusammenzufügen, zu bombardieren und schliesslich ein zerstörtes und unbewohnbares Land zu hinterlassen, bis die Einwohner auswandern oder im Land umkommen. Die Entwicklung dieser Ideen untersucht der Wissenschaftler bis zu den Anfängen zurück: von den baurechtlichen Massnahmen zum Erhalt des demografischen Verhältnissen zwischen der arabischen und jüdischen Bevölkerung, der Planung und dem Bau der Siedlungen bis zur urbanen Kriegsführung mit gezielten, luftgestützten Tötungen. Er untersucht, wissenschaftlich untermauert und dennoch gut lesbar, Israels Methoden, die Landschaft und die gebaute Umgebung in Werkzeuge von Herrschaft und Kontrolle umzuwandeln und beschreibt dieses Projekt des aktuellen Kolonialismus.

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Wenn man Menschen in diesem Land kennt und liebt, ist es fast nicht auszuhalten, was Weizman in diesem Buch schildert: eine in teuflischer Genialität gegen die Palästinenser vorgehende israelische Regierung. Da entlarvt sich die «Begründung», die Armee «verteidige» die «Sicherheit» der Israeli als Lüge. Sondern es zeigt sich, so meine persönliche Schlussfolgerung, dass dieses Tun Etappen sind auf dem mehr als sechzig-jährigen Prozess der Vertreibung respektive des langsamen Genozids des palästinensischen Volkes.

Weizman, Eyal: Sperrzonen. Israels Architektur der Besatzung. Nautilus. Hamburg 2009, 349 Seiten mit umfangreichem Foto- und Kartenmaterial