Wild, Petra: Apartheid und ethnische Säuberung in Palästina *

Im Gegensatz zu Pappe, Segev, Sand, Zuckermann, Finkelstein und Zertal ist Petra Wild bei uns noch wenig bekannt, was sich nach dieser Buchveröffentlichung jedoch ändern dürfte. Wenn jemand den Nahostkonflikt in einem Buch zusammengefasst studieren möchte, würde ich ihm heute «Apartheid und ethnische Säuberung in Palästina» empfehlen.

Die Autorin wurde 1963 in Hessen geboren, beschäftigte sich seit 1982 mit Palästina und der arabischen Welt, studierte zwischen 1989 und 2007 am Notre Dame-Institut in Jerusalem, an der Universität Leipzig, am Institut des Études arabes in Damaskus und am Institut für Afrika- und Asienwissenschaften der Humboldt-Universität in Berlin. Heute arbeitet sie freiberuflich als Islamwissenschaftlerin und Publizistin zur Palästina-Frage und zur Arabischen Revolution. Vorweggenommen sei schon jetzt: Petra Wild schreibt lesbar, was nicht selbstverständlich ist für Wissenschaftler.

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Petra Wild an der Leipziger Buchmesse © www.tintenhain.de.

Das vorliegende Buch fordert emotional heraus, denn es beschreibt die Unmenschlichkeiten, welche Israel und der Zionismus den Palästinensern antun, schonungslos. Ich gebe zu, ich musste es mehrmals weglegen. Allein schon die folgenden «Titulierungen» der Palästinenser durch prominente Israeli (Seite 80/81) schockieren: Menachem Begin nannte sie «Tiere auf zwei Beinen», der ehemalige Generalstabchef Raphael Eitan «hirnlose Kakerlaken», der Politiker und ehemalige General Ehud Barak «Krokodile», der Rabbiner der Siedlung Kiryat Arba bei Hebron «Wölfe», der ehemalige Grossrabbiner Ovadia Yosef «Schlangen», der Likud-Abgeordnete Yeiel Hazan «Würmer. Wie Würmer sind die Araber überall, unter der Erde, über der Erde, mit allen Mitteln haben diese Würmer dem jüdischen Volk in den letzten hundert Jahren Schaden zugefügt, und wir strecken unsere Hand zum Frieden aus, als ob nichts geschehen wäre.»

Das Buch basiert auf den Erkenntnissen der Kolonialismus- und Genozidforschung, die den Zionismus als eine Form des europäischen Siedlerkolonialismus ausweisen, sowie auf den Fakten der neuen, mehrheitlich israelischen Historikern. In der Einführung beschreibt die Autorin den Ursprung des palästinensisch-israelischen Konflikts und den ethnischen Charakter des Staates Israel. Detailliert geht sie auf die israelische Politik gegenüber den Palästinensern ein, die von israelischen, palästinensischen und internationalen Menschenrechtsorganisationen und den UN-Organisationen als Apartheid und ethnische Säuberung bezeichnet wird.

Im ersten Teil legt Wild dar, wie die Palästinenser einer systematischen rassistischen Diskriminierung und Segregation, des fortgesetzten Landraubs und der Vertreibung ausgesetzt sind. Am Beispiel des Negev werden die ökonomische und geographische Strangulierung der einheimischen Bevölkerung, die Zerstörung ihrer Kultur und die zugrunde liegenden ideologischen und politischen Prämissen dargestellt. Im zweiten Teil schildert sie die israelische Kolonialpolitik, deren Prinzipien sie seit ihren Anfängen folgt und wie diese durch die Oslo-Abkommen modifiziert wurden. Denn der Oslo-Prozess war kein Friedensprozess, sondern die Umsetzung lang gehegter israelischer Pläne, die palästinensische Bevölkerung mit Hilfe einheimischer Mittelsmänner niederzuhalten. Weiter wird auf Ähnlichkeiten und Unterschiede der israelischen Politik im Vergleich zur südafrikanischen Apartheidpolitik hingewiesen. Den Abschluss bildet ein Kapitel über die Blockade des Gaza-Streifens und die damit in Verbindung stehende Genozid-Debatte.

Nach all diesen Hoffnungslosigkeiten gibt es im Schlusskapitel einen Hoffnungsschimmer – oder angesichts der aktuellen Weltpolitik – doch nur eine Fata Morgana: die Vision der Einstaatenlösung, wie sie unter Palästinensern, antizionistischen Israelis und Aktivisten der internationalen Solidaritätsbewegung seit einiger Zeit diskutiert wird. Angestrebt werden soll damit die Errichtung eines demokratischen säkularen Staates auf dem Boden des historischen Palästinas, in dem muslimische, christliche und drusische Palästinenser und ebenso jüdische Israeli auf der Basis gleicher Rechte zusammenleben. Diese binationale Lösung für Israel/Palästina würde nicht nur den Palästinensern ihre von der UNO anerkannten Rechte auf Selbstbestimmung, Rückkehr und Entschädigung garantieren, sondern auch die jüdisch-israelische Bevölkerung von ihrem Status als Kolonialherren befreien. – Dass aus den gleichen Überlegungen andernorts die Lösung mit einem «islamischen Gottesstaat» gleichermassen in eine Sackgasse führt, ist offensichtlich.

Dass der Fokus der Autorin klar auf dem «Täter» Israel gerichtet ist und die hilflosen und zum Teil dummen Reaktionen der Palästinenser ausblendet, sei festgehalten, entspricht am ehesten der Realität vor Ort. Petra Wild vermeidet konsequent die feige und verlogene «Ausgewogenheit» so mancher Diskussionen zu diesem Thema.

Ein 52-minutiges Gespräch mit Petra Wild gibt es als Fernsehsendung auf KenFM

Wild, Petra: Apartheid und ethnische Säuberung in Palästina. Der zionistische Siedlerkolonialismus in Wort und Tat. Promedia Verlag, Wien 2013. 232 Seiten