Farhat-Naser, Sumaya: Im Schatten des Feigenbaums *

Sumaya Farhat Naser 2008
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Vor zehn Monaten hat die palästinensische Friedenskämpferin und prominente Buchautorin Sumaya Farhat-Naser beim Besuch einer Solidaritätsgruppe, die ich leitete, bei ihr an der Universität Birzet mit augenfälliger Betroffenheit über den sich ständig verschlechternde Zustand ihres Landes ein neues Buch angekündigt. Jetzt liegt es vor und entspricht der Ankündigung. Es stimmt, mehr noch als die vorausgehenden, sehr ernst, macht wütend, trotz des kleinen Funkens Hoffnung, den sie immer wieder verbreitet. Nach «Thymian und Steine» (1995), «Verwurzelt im Land der Olivenbäume» (2005) und «Disteln im Weinberg» (2007) der vierte Band ihrer persönlichen Autobiografie, die gleichzeitig eine «Autobiografie» Palästinas darstellt. Er umfasst, wie immer sehr gut geschrieben, den Zeitraum vom 1. Januar 2008 bis zum 23. April 2013, ergänzt durch eine kurze Chronologie von 1896 bis 2013.

«Unser Land wird uns systematisch weggenommen.» Ihre politisch brisante Aussage über den israelischen Landraub im palästinensischen Westjordanland und in Jerusalem belegt Farhat-Naser anschaulich und überzeugend. Gleichzeitig gibt sie Einblicke in die Verdrängung der dortigen Situation, die sie bei uns wahrnimmt. Die Autorin beschreibt, wie aggressiv israelische Siedler unter dem Schutz der israelischen Armee die einheimische Bevölkerung drangsalieren, Weinberge, Olivenhaine und Felder zerstören, Ländereien und Wasserquellen rauben. Wie ein roter Faden ziehen sich die Einschränkungen und Widrigkeiten des Alltags unter Militärbesatzung durch die Aufzeichnungen. Dem bitteren Befund zum Trotz lässt sie sich nicht entmutigen. In Schulen und Frauengruppen lehrt sie mit grossem Engagement gewaltfreie Kommunikation und den Umgang mit Konflikten, kämpft sie unermüdlich gegen Hoffnungslosigkeit und Resignation. Dabei freut sie sich über jeden Fortschritt und macht auf positive gesellschaftliche Entwicklungen «von unten» aufmerksam. Enttäuscht äussert sie sich über die auch hierzulande verbreitete Neigung, berechtigte Kritik an Israel kleinzureden. Geradezu kafkaesk mutet etwa jene Szene an, in der die Autorin, die ein künstliches Kniegelenk hat, nicht durch den Checkpoint kommt, weil der Detektor piepst, sie aber nur eine Durchgangserlaubnis für sich, nicht für dieses Bein hat und deshalb nicht zum abgemachten Referat nach Jerusalem ausreisen kann, weil eine junge Soldatin es so will. «Dein Knie braucht eine gesonderte Identitätskarte. Und du brauchst eine spezielle Erlaubnis, damit du mit diesem Knie nach Jerusalem gehen darfst. Diese Genehmigung muss bei der Militärbehörde beantragt werden», hiess es im O-Ton.

Der Feigenbaum, der diesem Buch den Titel gegeben hat, sei «ein Zeichen für Frieden, Sicherheit und Lebensglück». Hoffnungsvolle Gefühle durchdringen das Tagebuch dieser starken und couragierten Frau, obwohl es ein trauriges Kapitel der Entrechtung und Enteignung der Palästinenser in ihrer Heimat protokolliert. Mit ihren Eintragungen über das Lebens in ihrer Grossfamilie, gibt sie uns zusätzlich eine «Innenansicht» Palästinas, beschrieben anlässlich von Hochzeiten, Geburten, aber auch Beerdigungen. Solche Schilderungen bilden die notwendige Ergänzung zu den «Aussenansichten», welche uns Fernsehen und Zeitungen vermitteln.

Farhat-Naser, Sumaya: Im Schatten des Feigenbaum. Lenos-Verlag, Basel 2013, 221 Seiten