Wild, Petra: Lieblingsfeind Islam. Historische, politische und sozialpsychologische Aspekte des antimuslimischen Rassismus *

Ein spannendes und herausforderndes, ein wichtiges Buch, das neue Fakten und Interpetationen in die angeheizte Diskussion einbringt.

 

Petra Wild
(c) rubikon. news

Wenn ich «Islam» höre, tauchen bei mir Bilder und Informationen auf, gelegentlich auch Gesehenes oder Gehörtes darüber, seltener eigene Erfahrungen. Meist stammen diese Bilder aus den Medien, die bekanntlich nach der Regel «Bad news are good news» funktionieren. Also sind auch meine Bilder oft gefüllt mit Negativem. Wenn ich jedoch die Wahrheit darüber oder zumindest eine Annäherung suche und dafür das Buch «Lieblingsfeind Islam» von Petra Wild lese, werde ich fürs Erste in meinen Vorurteilen verunsichert, dann aber allmählich, von Seite zu Seite intensiver, in eine neue Sicht über den Islam eingeführt und allmählich versichert, mich auf dem rechten Weg zu befinden.

Petra Wild arbeitet als freiberufliche Publizistinzur Palästina-Frage und zum Widerstand in der arabischen Welt, hat in Jerusalem, Leipzig, Damaskus und Berlin arabische Sprache und Islamwissenschaften studiert und im Nahen Osten gelebt. Bisher sind von ihr zwei viel diskutierte Werke erschienen: 2013 «Apartheid und ethnische Säuberung», 5. Auflage, sowie 2015 «Die Krise des Zionismus und die Ein-Staat-Lösung. Die Zukunft eines demokratischen Palästinas», 2. Auflage. In ihrem dritten Buch bringt sie eine umfassende Analyse der historischen, politischen und sozialpsychologischen Aspekte des antimuslimischen Rassismus, angelehnt an die Arbeiten von Edward Said und Theodor W. Adorno.

Seit Samuel Huntington 1993 den «Kampf der Kulturen» ausrief, hat sich der antimuslimische Rassismus in Europa rasant ausgebreitet. Hier betrachtet man Muslime als Antithese zu den westlichen Werten, als schwer oder nicht integrierbar. Den Sicherheitsapparaten gelten sie als Risikogruppe. Die Gewalt gegen Musliminnen und Muslime hat weltweit eine Dimension erreicht, die es rechtfertigt, von der grössten rassistischen Massenmobilisierung seit dem Faschismus zu sprechen. Diese war nur möglich, weil der Islam neben dem Judentum eines der ältesten und wirkungsmächtigsten Feindbilder Europas ist. Seit jeher haben die Europäer ihre Identität in Abgrenzung gegen den Islam bestimmt. Europäer sein hiess schon im Mittelalter, vor allem kein Muslim zu sein. In der Rhetorik vom «christlich-jüdischen Abendland» scheint diese alte Frontstellung wieder auf.

Die politischen und sozialpsychologischen Funktionen dieser spezifischen Form des kulturellen Rassismus sind vielfältig. Sie reichen von der ideologischen Absicherung der Nato-Kriegspolitik gegen die muslimische Welt, über die Legitimierung der fortschreitenden autoritären Formierung der westlichen Staatsapparate bis hin zur Kanalisierung sozialer Unzufriedenheit durch die Feindbildkonstruktion. Rechtsradikalen dienen sie zur Verstärkung ihres Einflusses und sich links Gebenden zur Beförderung ihrer proisraelischen Agenda. Für viele verunsicherte Bürger im krisengeplagten Europa bildet der antimuslimische Rassismus ein Ventil, um ihrer diffusen Wut Luft zu machen.

Das Buch zusammenzufassen, ist schwierig, weshalb ich für jene, die mehr wissen möchten, auf die ausführliche Besprechung von Heiko Flottau im «Journal21» verweise. Persönlich kann ich nur beifügen, dass mich die riesige Anzahl von Fakten und Tatsachen, Analysen und Interpretationen der Autorin, die belegt sind mit 535 Zitaten und 13 kleingedruckten Seiten Bibliografie, überzeugen.

Der antimuslimische Rassismus hat eine Vorgeschichte, die bis in die Antike reicht, und einen politisch-philosophischen Überbau, der in der Geistesgeschichte verankert ist. Davon handeln einige Kapitel des Buches, welche auch Leuten, die in dieser Thematik belesen sind, Neues bringen. Alles ist, wie in den früheren Werken von Petra Wild, klar und gut lesbar geschrieben, jedoch anspruchsvoll und verlangt eine intensive Auseinandersetzung. Ihre Analysen führen mich mit ihren (geschätzten) mehr als hundert Beispielen und Belegen manchmal in eine etwas schwierige Situation. Es ergeht mir dann ähnlich, wie ich es bei meinen alltäglichen, unhinterfragten Islam-Bildern oben beschrieben habe, wenn auch mit einer andern Perspektive. Ich erhalte ein aus vielen kleinen Steinen zusammengesetztes Mosaik dessen, was der Islam auch ist. Das weckt in mir das Bedürfnis, andere, ebenso wissenschaftlich fungierte Argumente von der Gegenseite zu lesen, also von nicht gelungener Integration, erinnert mich an das Buch «Der alltägliche Islamismus. Terror beginnt, wo wir ihn zulassen» von Elham Manea und ich wünschte mir ein Gespräch zwischen diesen beiden Forscherinnen. Ob sich die beiden so etwas vorstellen können? Eine Fernsehanstalt oder ein Printmedium so etwas inszenieren will oder kann?

Im Schlusskapitel «Vom christlich-jüdisch-muslimischen Abendland» macht Petra Wild selbst einen Vorstoss in eine neue Richtung. Sie entwirft in ihrem ganzen Werk eine andere Geschichte als unsere rassistische, faschistische, allseits bekannte. In diesem Sinne beschliesst sie das Buch auch mit einem Satz des britischen Intellektuellen Paul Gilroy: «Die einzig angemessene Antwort auf diese Unsicherheit [gemeint ist die Spirale der Gewalt und Entmenschlichung, in der wir uns befinden] ist die Forderung nach Befreiung nicht nur von der weissen Vorherrschaft, sondern von allen rassistischen und rassifizierenden Gedanken, von rassistischem Sehen, rassistsichem Denken und rassistischem Denken über das Denken.»

Wild, Petra: Lieblingsfeind Islam. Historische, politische un sozialpsychologische Aspekte des antimuslimischen Rassismus, Promedia Verlag 2018, 272 Seiten